Berlin Marathon 2015 - als Clown
27.09.2015
Vom Berlin Marathon träumte ich schon im Januar. Wegen dem neuen Familienzuwachs verzichtete ich auf einen Frühlingsmarathon und setzte ALLES auf Berlin. Da sollte eine neue Bestzeit fallen, da sollten die persönlichen Grenzen kraftvoll durchbrochen werden. Ach wie erinnere ich mich daran, wie ich oft spät abends bei Kälte und Dunkelheit loszog um noch eine 35km Runde am Samstag- oder Sonntagabend abzuspulen. Jede meiner Körperzellen wurde auf Berlin eingestellt. DA wird alles gegeben, DA wird gelitten, DA wird explodiert – und am Ende, ja am Ende wird gejubelt!
Die Laufsaison begann sehr erfolgreich. Im März knackte ich in Freiburg meine PB im Halbmarathon und erzielte mit den 1:16:40 sogar den 1. Platz in meiner Altersklasse M40! Was für ein Erfolg. Doch was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte: es war bereits mein Saisonhöhepunkt. Denn was darauf folgte ist ein dunkles Kapitel meiner bisher 4 jährigen Läuferkarriere und schnell erzählt: Beim Wings for Life run in Olten kämpfte ich mit grausamen Magenproblemen und es wurde ein regelrechter Disasterlauf. Daraufhin folgten viele Nasenbebenhöhlenentzündungen, die mich immer wieder zu Trainingspausen zwangen – auch Wettkämpfe mussten deswegen abgesagt werden. Beim Dreiländerlauf (bekanntester Halbmarathon in Basel) musste ich ebenfalls das Handtuch schon zwei Tage vor dem Start werfen, da die ganze Familie von einem Magendarmvirus heimgesucht wurde. Nichts gelang. Nichts kam mehr zustande. Ich akzeptierte was war und freute mich umso mehr - und immer mehr - auf Berlin.
In den Sommerferien auf Korsika fand ich wieder so richtig in den Lauf-Flow. Und kaum von den Ferien zurück, legte ich mit dem Training für Berlin los. Auf meiner Tempostrecke war ich auf einmal so schnell wie noch nie zuvor. 130km trainierte ich pro Woche und fühlte mich dabei grossartig. Es lief alles wunderbar, fast schon zu gut. Und dann kam dieser denkwürdige 20. August, ein Donnerstag. In der Mittagspause donnerte ich einen schnellen 10er in unter 37 Minuten hin. Ich war für Berlin zuversichtlich, dass ich meinen Traum, die sub 2:40, schaffen würde. Am Abend ging es dann ins Training mit dem Verein… und ja viele kennen die Geschichte schon. Stabilitätsübungen, Lauftechnik und zum Abschluss noch 5 mal 50m Sprints. Der letzte dieser Sprints riss dann meine Hamstrings im linken Oberschenkel auseinander. Es war sehr schmerzhaft. Es brannte regelrecht für eine Woche. Doch noch mehr schmerzte die Tatsache, dass mein Berlin-Traum wie eine zu trockene Sandburg vom Winde verweht wurde. Augenblicklich und erbarmungslos. Natürlich hoffte ich noch insgeheim auf eine Wunderheilung und auf die sub 2:40. Doch mit dem Fortschreiten der Verletzung veränderten sich auch meine Ziele: eine 2:45 ist auch toll. Dann halt sub 2:50. Naja unter 3h bleibe ich auf jeden Fall… und auf einmal war nicht einmal klar, ob ich überhaupt starten könnte. Erst eine Woche vor dem Berlinmarathon konnte ich mein Training wieder aufnehmen. Und von Mo bis Sa vor dem Marathon legte ich 60km – alles langsam und alles schmerzfrei - zurück.
„Was soll ich denn überhaupt in Berlin?“, fragte ich mich als ich in Berlin landete. Ich hatte doch Träume und ein Ziel auf das ich ein dreiviertel Jahr hin arbeitete. Und nun? Ein Longjog durch Berlin?
Um mich genügend zu motivieren und mir den Berlinmarathon doch noch etwas schmackhafter zu machen entschied ich mich für zwei Dinge: 1. Ich wollte in einem Clownskostüm laufen – vor allem weil ich damit sicher sein wollte, dass ich den Marathon nicht zu schnell laufe und 2. ergab es sich auf den Berlinmarathon hin, dass ich für Sascha Reetz, der seinen ersten Marathon in Angriff nehmen wollte, die Pace laufen würde. Damit war für mich sichergestellt, dass ich in Berlin nur ruhig laufe.
Es war dennoch komisch, als ich am Freitagabend in Berlin landete. Das sonst übliche Kribbeln vor einem Marathon fehlte gänzlich. Überhaupt habe ich schon im Vorfeld alles auf die ganz leichte Schulter genommen, denn ich wusste, im Grunde laufe ich einfach einen lockeren Trainingslauf.
Am Samstagmorgen traf ich mich mit Sascha und wir liefen zusammen ein paar Kilometer im Startbereich des Berlinmarathons. Da ergab es sich, dass ich für mich einen Kilometer in der von mir geträumten Pace (Geschwindigkeit) laufen konnte – es war ein kurzes Abschiednehmen von meinen Träumen.
Am Nachmittag ging es auf die gigantische Messe wo ich dann auch schon die ersten Läufer vom #Twitterlauftreff traf. Ehrlich gesagt, war das Treffen mit dem Twitterlauftreff an diesem Wochenende überhaupt der eigentliche Höhepunkt – es ist einfach ein Haufen toller Leute *Daumen hoch*! Das hat so richtig gut getan.
Vor allem natürlich das gemeinsame Pastaessen mit der wiederum gelungenen Manner-Überraschung! (Anm.: Die Firma Manner AG schickt dem Twitterlauftreff jeweils eine sehr grosszügige Menge an Mannerschnitten, das ist wirklich immer ein kleiner Höhepunkt – Dankeschön an dieser Stelle!)
Dann kam der Sonntag. Longjog für mich. Und im Mittelpunkt stand natürlich meine Aufgabe den Sascha sicher durch die Strassen Berlins zu schleusen – wenn möglich unter 4 Stunden. Es war für mich eine neue Erfahrung, ja eigentlich ein ganz anderer Marathon, der irgendwie zur selben Zelt am selben Ort standfand. Normalerweise bin ich immer früh am Start und ganz vorne – da kriegt man die grosse Masse eigentlich nur so am Rande mit. Doch diesmal war ich mittendrin. Das Starttor, das sonst so nah vor mir stand, war auf einmal so weit weg, dass mir so richtig bewusst wurde, was es heisst, wenn über 40‘000 Leute am Start stehen. Es war so, dass in unserem Sektor nicht einmal alle innerhalb der Schranken einstehen konnten, es war einfach zu voll.
Und ja, ich war natürlich im Clownskostüm :-)
Pünktlich um 9 Uhr fiel der Startschuss – und bei uns „hinten“ bewegte sich nichts. Auch 10 Minuten später noch nicht – eindrücklich, wenn ich es doch gewohnt war praktisch mit dem Startschuss los zu sprinten, so musste ich heute geduldig Mitten in der Masse einfach stehen und warten.
Endlich, etwa 20 Minuten später gingen wir dann auf die Strecke. Strahlendes Wetter, tolle Stimmung und schon von Beginn weg ein tosendes Publikum sollten aus den bevorstehenden 42.2km ein richtiges Fest veranstalten. Meine Aufgabe war eigentlich klar, die bestand nämlich darin Sascha davor zu bewahren zu schnell los zu laufen. Schön locker zu starten – und das war in der Masse eigentlich gar nicht anders möglich. Da war ich also. Trotz meines Muskelfaserrisses bin ich in Berlin gestartet. Ein kleines Wunder irgendwie – und das realisierte ich – und so kam auch richtig Freude in mir auf. Ich war dabei!
Es lief gut. Wir schlängelten uns um die Leute herum und liefen locker die geplante Pace. Eindrücklich und neu waren für mich die Massen an Läufer. Und es wurden nie weniger. Wir waren stets mittendrin, die gesamten 42.2km.
Bei der ersten Verpflegungsstelle kam es dann zu einem Schreckmoment. Ich drehte mich um, wie ich es im Verlaufe des Rennens oft tat um mich zu erkundigen was Sascha macht. Doch, da war niemand! Ich erschrak regelrecht. Gerade eben hatte er doch noch signalisiert, dass alles gut sei – und nun war er weg. Und das Bild das ich sah werde ich nie mehr vergessen. Eine regelrechte Läufermasse, Kopf an Kopf, strömte an mir vorbei – ich wette pro Sekunde an die Hundert! In all den Gesichtern konnte ich Sascha nicht entdecken. Ich ging zur Verpflegungsstelle, trank ein Becher Wasser und ging noch gemütlich auf’s Klo. Sicher sind mindestens zwei bis drei Minuten vergangen und mir war klar, entweder er ist jetzt hundertprozentig vor mir im Feld am Laufen – oder aber er ist aus irgendeinem Grund ausgestiegen, was ich mir nicht vorstellen konnte. Ich lief wieder los. Ich schlug ein flottes Dauerlauftempo an und schlängelte mich durch die Läufermasse. Jetzt wo ich so alleine war und nicht nach hinten schauen musste, hatte ich alle Narrenfreiheiten. Ich klatsche Kinderhände ab und winkte den Leuten zu – es war ein Spass. Doch gleichzeitig scannte ich stets das gesamte Lauffeld vor mir nach Sascha ab – und tatsächlich, nach 3 Kilometer hatte ich ihn wieder eingeholt. Mann war ich froh! Und von da an, liess ich ihn nicht mehr aus den Augen.
Immer und immer wieder hörte ich von links und von rechts wie die Leute sagten:“ Schau, da läuft ein Clown!“ und wenn ich dann in diese Richtung blickte, mussten die Leute lachen. Immer wieder, wenn ich die Arme in die Höhe hob tobten die Zuschauer. Es war ein richtiger Genuss. So musste ich stets aufpassen nicht vor lauter Aufregung die Pace aus den Augen zu verlieren und ich musste mehrfach das Tempo drosseln. Kurz: es war ein Riesengaudi im Clownskostüm zu laufen und nicht nur die Zuschauer schienen Spass daran zu haben, sogar von ein paar Läufern wurde ich fröhlich angesprochen – es war unglaublich eindrücklich.
Sascha selber lief beherzt und mutig und hatte wie vor dem Rennen angekündigt bis Kilometer 25 keinerlei Probleme. Dann kam eine knapp 10km lange Phase in der er mit etlichen Problemen zu kämpfen hatte. Aber er meisterte dies vorbildlich und immer wieder versuchte ich ihn zum Laufen zu motivieren und auch das Ziel, deutlich unter 4h zu finishen, nicht aus den Augen zu verlieren. Es gab eine Situation, in der unbedingt Wasser benötigte. Ich lief voraus und hielt Ausschau nach einer Wasserstelle oder einem Brunnen abseits der Strecke. Sah dann tatsächlich eine improvisierte Wasserstelle ( Zuschauer hatten einen Tisch hingestellt und verteilten Wasser in Becher) , holte da zwei Becher, rannte damit zu Sascha und reichte sie ihm. Er meinte er bräuchte noch mehr, also rannte ich wieder zurück, schnappte noch einmal zwei Becher und lief damit wieder zu Sascha – endlich konnte ich etwas tun – ich hatte richtig Spass dabei. Bei Kilometer 34 entdeckten wir dann noch zwei bekannte Gesichter vom Twitterlauftreff und wir winkten uns gegenseitig zu. Ich wusste das Christian (auch vom Twitterlauftreff, ihn hatte ich erst am Freitag zusammen mit seiner Frau kennengelernt und ich muss sagen er war mit seiner Art ein derart „feiner Typ“, dass seine Bekanntschaft für mich zum wirklichen Highlight von diesem Wochenende geworden ist) bei Kilometer 35 stehen sollte. Denn dort musste er (vor über einer Stunde) dem Christian Schmuck (er war ja in Wien mein Pacemaker und wollte hier in Berlin die 2:30 Schallmauer durchbrechen) eine Trinkflasche überreichen. Ich wusste er würde mittlerweile mit Sicherheit wissen ob der Christian mit einer Zeit unter 2:30 im Ziel angekommen ist. Da entdeckte ich Christian zusammen mit seiner Frau wie sie die Läufer anfeuerten. Nun war ich gespannt, ich rannte auf die beiden zu, blieb stehen und fragte nach der Zeit von Christian. Ich hörte nicht bis zum Ende hin – so genau wollte ich es noch nicht wissen, es reichte mir, als er sagte: „Er hat es geschafft! 2:29!!“ – Ich riss die Arme in die Höhe, als hätte meine Fussballmannschaft gewonnen und rannte Sascha hinter her, der Mittlerweilen schon wieder ein Stück vor mir lief. Und ich rief schon von weit hinten voller Freude: „Er hat es geschafft! Christian hat die 2:30 durchbrochen!“ – und so freuten wir uns beide für Christian, dass er sich seinen Traum erfüllen konnte, was für eine Hammerzeit. Ich versuchte diese positive Nachricht auf die Pace von Sascha zu lenken. Und nachträglich betrachtet, lief es tatsächlich ab km 35 wieder viel besser.
Und nun war es für mich eindrücklich zu erleben wie Sascha mit sich und den 42.2km kämpfte. Er gab alles. Ich versuchte ihn mit allen möglichen Sprüchen zu motivieren. Und er lieferte ein tolles Rennen ab. Er kämpfte derart beherzt, dass es mich für meinen geplatzten sub 2:40 – Traum entschädigte. Wirklich, es war für mich noch einmal so richtig Gänsehaut, als wir vorbei am Brandenburger Tor in Richtung Ziel rannten. Und die Pace auf den letzten zwei Kilometern war wieder so hoch wie zu Beginn des Rennens. Sascha gab alles – und diese Bilder werde ich nie vergessen. Danke! Er kämpfte sich schliesslich mit 3:48:04 über die erlösende Ziellinie…
Geschafft! Träume sind geplatzt, andere wurden erfüllt, sehr emotional! Ein wunderschöner Marathon. Berlin von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Es war ein wahres Volksfest! Eine Art 42.2km Tanz durch die Strassen von Berlin mit einer Million tobenden Leute am Strassenrand. Einfach eindrücklich!
An diesem Tag habe ich von vielen ganz unterschiedlichen Marathonerlebnissen erfahren. Die 2:30 Schallmauer wurde unterboten, andere mussten den Marathon abbrechen, weil es ihnen nicht gut ging. Es gab tolle Marathondebüts und starke Zeiten. Tolle Geschichten die ich schon seit Wochen via Twitter verfolgte nahmen ihr Happy End. Jeder war an diesem Tag auf seine Art ein Gewinner – ein Held! Und auch jene die es nicht bis zur Ziellinie geschafft haben und vermutlich teilweise noch heute deswegen enttäuscht sind, waren grosse Helden! Denn sie haben gekämpft und sie haben es versucht. Meinen Glückwunsch!
Ich lief mit 3:48:05 meinen langsamsten Marathon, aber gleichzeitig war es auch der Schönste – auf seine Art! Ich habe mich auf jeden Fall mit meinem Schicksal versöhnt und einen Tag nach dem Berlinmarathon realisierte ich, dass ich aus dem ganzen Berlinwochenende mehr herausgeholt hatte, als wenn ich die sub 2:40 geschafft hätte, einfach weil es so unvergesslich schön war – alles!
Leider, obwohl ich während des Marathons keine Schmerzen hatte, zeigte sich mein Muskelfaserriss zwei Tage nach dem Lauf sehr beleidigt, indem er beim Joggen derart schmerzte, dass ich den ersten Lauf gleich abbrechen musste. Und so entschied ich mich dazu, 2015 keinen weiteren Marathon mehr zu laufen, sondern jetzt mal richtig Pause zu machen und dann wieder langsam einzusteigen.
Mal sehen was noch möglich ist! :-)
Danke Berlin! Danke Twitterlauftreff, es war ein Riesengaudi mit euch! Und Danke Sascha, es war mir eine wahre Freude Dich derart beim Kämpfen erlebt haben zu dürfen - das hast Du grossartig gemacht!